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Ein dummer Freund ist schlimmer als ein gelehrter Feind.
Abu Hamid al Ghazali,
Die Inkohärenz der Philosophen
Lady Anirul lief allein durch den Korridor vor ihrem Apartment, um der permanenten Aufmerksamkeit der Medizinschwester Yohsa zu entgegen, als sie mit Graf Hasimir Fenring zusammenstieß, der soeben mit schnellen Schritten um eine Ecke marschiert kam.
»Mmmm, verzeihen Sie, Mylady.« Als er die Gemahlin des Imperators betrachtete, bemerkten seine unruhigen Augen ihren geschwächten Zustand. »Es freut mich, Sie wieder wohlauf zu sehen. Gut, sehr gut. Ich habe von Ihrer Krankheit gehört, hmmm, und Ihr Gatte hat sich große Sorgen gemacht.«
Anirul hatte diesen verschlagenen kleinen Mann noch nie leiden können. Plötzlich wurde sie durch einen Chor von Stimmen in ihrem Geist ermutigt, sodass sie ihre wahren Gefühle nicht länger zurückhalten konnte. »Vielleicht hätte ich einen wahren Gatten, wenn Sie sich nicht ständig einmischen würden, Graf Fenring.«
Er wich überrascht vor ihr zurück. »Was wollen Sie damit sagen, hmmm-äh?«, fragte er. »Die meiste Zeit weile ich gar nicht auf Kaitain, sondern bin auf Geschäftsreisen. Wie sollte ich mich da in irgendetwas einmischen?« Er kniff die Augen zusammen und musterte sie skeptisch.
Spontan entschied sie, mit Worten zurückzuschlagen, um seine Reaktionen zu beobachten und mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. »Dann erzählen Sie mir vom Projekt Amal und den Tleilaxu. Und Ix.«
Fenrings Gesicht rötete sich nur einen Hauch. »Ich fürchte, Sie haben einen Rückfall erlitten. Soll ich einen Suk-Arzt rufen lassen?«
Sie funkelte ihn an. »Shaddam besitzt weder die Klugheit noch die Phantasie, um einen solchen Plan allein auszuarbeiten. Also muss es Ihre Idee gewesen sein. Verraten Sie mir, warum Sie es tun!«
Der Graf schien bereit zu sein, sie zu schlagen, und es kostete ihn sichtlich einige Anstrengung, sich zu beherrschen. Automatisch nahm Anirul eine subtile Kampfhaltung ein, indem sie kaum merklich verschiedene Muskeln anspannte und den Körperschwerpunkt verlagerte. Mit einem wohlgezielten Fußtritt konnte sie ihm eine tödliche Wunde zufügen.
Fenring lächelte, während er sie gleichzeitig aufmerksam musterte. Von Margot hatte er gelernt, auf winzigste Details zu achten. »Ich fürchte, Ihre Informationen entsprechen nicht den Tatsachen, Mylady, hm-hmm?« Er hatte zwar ein Neuromesser in der Tasche, wünschte sich aber eine wirksamere Waffe. Er wich einen halben Schritt zurück und sagte in völlig ruhigem Tonfall: »Bei allem gebührenden Respekt, aber vielleicht bilden sich Mylady gewisse Dinge nur ein.« Er verbeugte sich steif und ging eilig davon.
Anirul blickte ihm nach, und die Stimmen in ihrem Kopf wurden plötzlich wieder lauter. Dann vernahm sie im Drogennebel die vertraute Stimme der alten Lobia, nach der sie so lange gesucht hatte. »Das war sehr menschlich von dir«, tadelte die Wahrsagerin, »sehr menschlich und sehr dumm.«
Als er im Labyrinth der Palastkorridore verschwand, dachte Fenring über Möglichkeiten der Schadensbegrenzung nach. In diesen unsicheren Zeiten konnte die Schwesternschaft zu einer erheblichen Gefährdung von Shaddams Machtbasis werden, wenn sie sich gegen ihn stellen sollte.
Wenn der Imperator stürzt, gehe ich mit ihm unter.
Zum ersten Mal dachte Fenring daran, dass es nötig werden konnte, Shaddams Frau zu töten. Natürlich durch einen Unfall.
* * *
Im Versammlungshaus des Landsraads sprachen die ersten Aristokraten und Diplomaten offen von einer Revolte. Repräsentanten der Großen und Kleinen Häuser standen Schlange, um vor dem Plenum zu sprechen. Manche schrien in glühendem Zorn, andere sprachen mit eiskaltem Hass. Die Notsitzung dauerte bereits ohne Pause seit einer Nacht und einem Tag an.
Imperator Shaddam jedoch war völlig unbesorgt. Er saß unerschütterlich auf dem prachtvollen Stuhl, der im Großen Saal für ihn reserviert war. Der Adel war eine schlecht gelaunte, ungehobelte Horde. Shaddam war enttäuscht, dass diese Leute so leicht jeglichen Anstand verloren.
Er residierte auf seinem großen Stuhl und hatte die manikürten Hände im Schoß verschränkt. Wenn diese Sitzung nach Plan verlief, würde der Imperator nicht ein einziges Wort sagen müssen. Er hatte bereits weitere Sardaukar-Truppen von Salusa Secundus angefordert, obwohl er bezweifelte, dass sie nötig waren, um diesen kleinen Unruheherd unter Kontrolle zu bekommen.
Lady Anirul hatte sich einigermaßen von ihrem jüngsten Anfall erholt, machte aber immer noch einen etwas mitgenommenen Eindruck. Sie saß auf ihrem untergeordneten Platz und trug ein formelles schwarzes Aba-Gewand, wie er ihr aufgetragen hatte. Neben ihr stand die ähnlich gekleidete Imperiale Wahrsagerin Gaius Helen Mohiam. Ihre Anwesenheit machte deutlich, dass Shaddam immer noch die Unterstützung der mächtigen Schwesternschaft hatte. Es wurde höchste Zeit, dass die Hexen konsequent ihren Pflichten und verschleierten Versprechungen Folge leisteten.
Bevor die ersten Beschwerden vor dem Landsraad vorgetragen werden konnten, ergriffen Shaddams Anwälte das Wort und legten seinen Standpunkt dar, den sie mit adäquaten Präzedenzfällen und beeindruckendem Fachvokabular untermauerten.
Als Nächstes trat ein hochrangiger Gesandter der Raumgilde vor das Plenum. Die Gilde hatte Shaddams Kriegsschiffe nach Korona transportiert, und nun verteidigte sie mit entsprechenden juristischen Argumenten ihre Entscheidung, den Angriff zu ermöglichen. Dank Shaddams Großzügigkeit hatte die Gilde die Hälfte des von Korona geborgenen Gewürzvorrats einkassiert, sodass sie das Haus Corrino in jedem Fall unterstützen würde.
Shaddam wahrte seine Miene der fürstlichen Zuversicht.
Danach trat der Präsident der MAFEA vor, ein Mann mit gebeugtem Gang und silbergrauem Bart. Er sprach mit lauter und weit reichender Stimme. »Die MAFEA unterstützt das Recht des Imperators, den Gesetzen des Imperiums Geltung zu verschaffen. Das Verbot der Lagerung von Melange wurde bereits vor langer Zeit gesetzlich verankert. Obwohl sich viele von Ihnen lautstark darüber beklagen, sind diese Tatsachen jedem Haus bekannt.« Er blickte sich um und wartete ab, ob in der Versammlung Widerspruch laut wurde, dann fuhr er fort.
»Der Imperator hat wiederholt Warnungen ausgesprochen, dass er für die Einhaltung dieses Gesetzes sorgen wird. Doch selbst nachdem er wegen genau dieses Verbrechens eine Strafaktion gegen Zanovar durchgeführt hat, wurde das Gesetz weiterhin vom Haus Richese ignoriert.« Der MAFEA-Präsident zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die betreffenden Delegierten.
»Welche Fakten beweisen die Schuld des Hauses Richese?«, rief ein Adliger.
»Wir haben das Wort eines Corrino-Imperators. Das genügt.« Der MAFEA-Präsident ließ seine Worte wirken. »Und vor der Konfiszierung wurden Holoaufnahmen der richesischen Gewürzlager gemacht, die uns im privaten Kreis vorgeführt wurden.«
Der Präsident wollte das Podium bereits verlassen, doch dann kehrte er noch einmal zurück und setzte hinzu: »Der Imperator hat auf einwandfreier juristischer Grundlage gehandelt. Sie können nicht dagegen protestieren, nur weil Sie Ihre eigenen Verbrechen decken wollen. Wer von Ihnen gegen das Verbot der Gewürzlagerung verstößt, tut es auf eigene Gefahr. Der Imperator ist befugt, jedes nötige Mittel einzusetzen, um die politische und ökonomische Stabilität zu wahren.«
Shaddam musste ein Grinsen unterdrücken. Anirul warf ihm einen Blick zu und betrachtete dann wieder den Großen Saal und die Menge der aufsässigen Landsraad-Vertreter.
Schließlich schlug Kammerherr Beely Ridondo mit seinem Klangstab auf den Boden, worauf wieder Ruhe einkehrte. »Die Debatte ist offiziell eröffnet«, gab er mit finsterem Blick bekannt. »Wagt es jemand, sich gegen die Entscheidungen des Imperators zu stellen?«
Shaddams Juristen standen auf und hielten Stifte und Notizblöcke bereit, um die Namen aufzunehmen. Damit bestand kein Zweifel, welche Konsequenzen ein Protest haben würde.
Die brodelnde Missstimmung schwächte sich zu einem Raunen ab. Niemand trat vor, niemand wollte der Erste sein. Der Imperator tätschelte in aller Öffentlichkeit die Hand seiner Gemahlin. Er wusste, dass er gewonnen hatte. Zumindest vorläufig.